RFID: ein digitaler Zwilling, um bessere Transparenz in der Lieferkette zu schaffen? 

Tom Vieweger, RFID Business Expert bei Nedap Retail

Heutzutage wird viel über „Digitale Zwillinge“ (im Englischen „Digital Twin“) gesprochen – aber was ist das eigentlich? Heißt das, dass wir uns nun klonen und ins Metaverse transferieren lassen sollen? Das würde natürlich zu weit gehen. Ich persönlich mag die Definition von IBM, die besagt, dass „ein digitaler Zwilling eine virtuelle Darstellung eines Objekts oder Systems ist, das seinen gesamten Lebenszyklus umfasst, aus Echtzeitdaten aktualisiert wird und Simulation, maschinelles Lernen und logisches Denken nutzt, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen."  

Übertragen auf das Thema Retail, können Digitale Zwillinge also einen Echtzeit-Einblick darüber geben, was im Geschäft eines Händlers passiert, wie z. B. Warenflüsse und Bestandspositionen. Lassen Sie uns die Materie etwas genauer betrachten und schauen, wie Retailer von besseren Daten und Einblicken in ihre Lieferketten profitieren können. 

Beispiele für Digitale Zwillinge 

Obwohl wir erst seit wenigen Jahren von „Digitalen Zwillingen“ sprechen, geht die Idee weit bis auf die ersten digitalen Technologieprojekte zurück. Ein gutes Beispiel sind die Weltraumforschungsmissionen der NASA in den 1960er Jahren, bei denen jede Rakete in einer erdgebundenen Version exakt (digital) nachgebildet wurde. Weitere Praxisbeispiele sind: 

RFID ist (nur) der Datenträger 

Heutzutage können Produktetiketten in der Bekleidungs-, Sport- und Schuhindustrie über das bloße Bereitstellen von Waschtemperaturen oder Reinigungsanweisungen hinausgehen – sie können mit einer (eindeutigen) digitalen Identität versehen werden, entweder über einen QR-Code oder auf einem Chip. Wenn Produkte eine eindeutige Identität tragen, kann das als digitale Kopie betrachtet werden. Jedes Produkt hat damit sozusagen seinen eigenen digitalen Pass. 

Um die physische mit der digitalen Welt zu verbinden, muss eine eindeutige digitale Kennung am Objekt angebracht werden. Wird solch eine digitale Identität in einem RFID-Chip gespeichert, ist ein lückenloses Nachverfolgen von Produkten möglich. Dank RFID ist es einfach, den Warenfluss durch die Lieferkette zu registrieren. RFID-Lesepunkte sammeln Daten aus der physischen Welt und senden sie an (cloud-basierte) Systeme, wo sie verarbeitet und für zusätzliche Datenanalysen verwendet werden. 

Darüber hinaus können physische Dinge mit einem zusätzlichen Sensor ausgestattet werden, der noch mehr Daten generiert. Diese Sensoren können Daten z.B. über Temperatur, Feuchtigkeit oder Druck erzeugen. Jeder, der sich dann den Digitalen Zwilling ansieht, kann wichtige Informationen darüber einsehen, wie sich das Objekt in der realen Welt verhält. Diese Daten können dann an ein Verarbeitungssystem weitergeleitet und auf die digitale Kopie angewendet werden. 

Wie der Handel profitieren kann 

Bestandstransparenz ist ein Schlüsselfaktor für Retailer. Digitale Zwillinge helfen Händlern, Lagerengpässe und Nachfrageentwicklungen in Sekundenschnelle zu erkennen. Basierend auf diesen Erkenntnissen können sie Produkte nachfüllen, Platzierungen von Produkten neu anpassen und gezielt so werben, dass Verschwendung vermieden wird. 

Mit der wachsenden Zahl von Supply Chain Partnern, Herkunftsregionen und Vertriebskanälen wird es für Einzelhändler entscheidend, einen sogenannten „Single Point of Truth“ zu schaffen. Damit Standards verwendet werden können, sollte die eindeutige (digitale) Produktidentität idealerweise ein EPC, also ein Electronic Product Code, sein. Der EPCIS Standard (Electronic Product Code Information Service) ermöglicht es, Transparenz über Lagerpositionen in der Supply Chain oder einem Liefernetzwerk zu schaffen und Informationen zu teilen. Globale Standards und offene Formate ermöglichen es den Partnern, Herkunfts- und Bestandsinformationen einfach und sicher miteinander zu teilen. 

Erweiterte Einblicke in die Lieferkette 

Definitionsgemäß bezeichnet „Supply Chain Management“ die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten, Kunden und anderen Partnern. Daher ist der Austausch von Daten und Informationen zwischen diesen Partnern entscheidend für einen effizienten Betrieb und die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen.

Die Verfolgung von Lagerbewegungen und Statusänderungen in Echtzeit ist besonders wichtig in komplexen Lieferkettenstrukturen, in denen Produkte regelmäßig versendet und zwischen Partnern, Lagern, Vertriebszentren und Filialen transferiert werden.

In der Cloud gehostete Daten aus dem Digitalen Zwilling jedes Produkts können Echtzeitinformationen zu Herkunft, Beschaffenheit und Warenfluss durch die Lieferkette bereitstellen. Dadurch kann sichtbar gemacht werden, wo Produkte herkommen, wo sie sind und wohin sie (am besten effizient und nachhaltig) müssen. 

Weitere Beispiele für eine umfassende Transparenz in der Lieferkette: 

Digitale Zwillinge ermöglichen ungeahnte Transparenz 

Obwohl weder Digitale Zwillinge noch RFID neu sind, haben die Unterbrechung der Lieferketten während bzw. nach der Pandemie sowie gestiegene Nachhaltigkeitsanforderungen dazu geführt, dass ihre Anwendung im Handel an Dynamik gewonnen hat. Jüngste Studien zeigen, dass die Einführung von RFID im Retail als Reaktion auf COVID-19 stark zugenommen hat. Der Grund dafür ist, dass datengetriebene Brands und Retailer tiefgreifende Einblicke benötigen, um sicherzustellen, dass die Ware für die Kunden verfügbar ist. 

Produktetiketten mit einer eindeutigen Identität – oder dem Digitalen Zwilling – werden immer mehr zur Normalität. Sie versprechen eine Vielzahl von Vorteilen, wie die Analyse von CO2-Fußabdrücken, des Kundenverhaltens und der Warenflüsse. Digitale Identitäten, RFID-Technologie und eine EPCIS-Repository Datenplattform schaffen eine echte und umfassende Bestandstransparenz, die bedarfsgesteuerte Allokation, Einblicke in die Herkunft, vorausschauendes Replenishment und Warentransfers an den Ort ermöglicht, an dem Produkte wirklich benötigt werden. 

Tom Vieweger
RFID business expert
Tom Vieweger